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Salzburger Nachrichten

Marinomed: Mit der Heilkraft des Meeres

Das Wiener Biotech-Unternehmen Marinomed will den milliardenschweren Weltmarkt der Heilmittel gegen Schnupfen und Husten erobern. Dabei setzt man auf einen Wirkstoff aus Rotalge.

Am Anfang stand die Idee, ins Wasser zu gehen, und zwar ins Meer. Wenn nämlich Pflanzen seit alters die Quelle für medizinische Wirkstoffe sind, warum nicht auch im Meer danach suchen, fragte sich der Virologe Andreas Grassauer. „Die simple Logik dahinter war: Da muss ganz viel zu finden sein. Im Meer gibt es eine unglaublich große Biodiversität.“ Insbesondere in Küstennähe, bis zu einer Entfernung von 20 Metern vom Ufer ist die Artenvielfalt vergleichbar nur noch mit dem Regenwald. 

Relativ rasch wurde Grassauer fündig. In einem bestimmten Typ der Rotalge entdeckte er mit seinem Team einen Wirkstoff, der in der Lage ist, sämtliche Viren, die Husten, Schnupfen und Heiserkeit auslösen, unschädlich zu machen. Nach einer für die Branche relativ kurzen Zeit von drei Jahren gelang es, ein Polymer zu isolieren und testweise am Menschen anzuwenden. Seit 2008 ist man mit dem von Marinomed entwickelten Wirkstoff Carragelose auf dem Markt, vertrieben werden die Produkte von Sigmapharm unter dem Produktnamen Coldamaris. Das ist nicht nur ein weiteres Mittel gegen die tropfende Nase oder den kratzenden Hals. Während herkömmliche Schnupfen-Medikamente lediglich Symptome behandelten – und zudem oft nur gegen ein bestimmtes Virus wirksam seien, packe Carragelose die Ursache an, unterstreicht Grassauer. „Da sind wir Pioniere.“ Die Funktionsweise vergleicht er mit einem Wollfaden, der eine Klette – das Virus – einwickelt und so daran hindert, sich festzuklammern. 

„Unsere Produkte sind molekulare Wollfäden, die auf physikalischer Basis an den Viren hängen bleiben, deswegen sind sie so breit wirksam“, sagt Grassauer. Das eingewickelte Virus könne sich nicht mehr am Wirt anhängen. „Das Virus selbst lebt nicht, es braucht einen Wirt. Wenn es verklebt ist, ist es tot, es kann nicht mehr binden und sich nicht mehr kopieren.“ Der Wirkstoff wird derzeit weltweit in 30 Ländern verkauft, in Österreich rezeptfrei für 13 Euro. Mit dem Geschäft ist Grassauer sehr zufrieden. „In Österreich sind wir am längsten auf dem Markt, und es läuft sehr gut. Wenn wir unseren weltweiten Roll-out überall so hinbekommen, wird Marinomed eine sehr erfolgreiche Firma.“ Entscheidend für den internationalen Erfolg sei ein starker regionaler Partner, der den Markt kenne und wisse, wie man im jeweiligen Markt Nasenspray verkaufe. Als nächste große Märkte hat man Japan, die USA und China im Visier. 

Global geht es um einen riesigen Markt, der geschätzt 28 Mrd. Dollar (24,6 Mrd. Euro) schwer ist. Das umfasst sämtliche Medikamente zur Behandlung von Husten, Schnupfen und Heiserkeit, die rezeptfrei in Apotheken erhältlich sind. Kein Wunder, dass dieser Bereich hoch umkämpft und stark fragmentiert ist. Kaum ein Anbieter hat mehr als fünf Prozent Marktanteil, der größte ist Procter & Gamble mit Wick, das es gerade einmal auf eine Milliarde Dollar Umsatz bringt. Wachstum war bisher nur durch Zukäufe möglich. Das versucht Marinomed jetzt mit Innovation zu verändern. 

Gleichzeitig arbeitet das durch Ausgliederung aus der Veterinärmedizinischen Universität Wien entstandene Unternehmen an einem zweiten innovativen Projekt. Marinomed hat ein Verfahren entwickelt, wie man einen Wirkstoff leichter löslich machen kann. In diesem Fall kamen die Wirkstoffe nicht aus dem Meer, sondern vom Land. Rosskastanie und Süßholzwurzeln erlauben es, diverse Wirkstoffe hoch löslich zu machen. 

„Wir haben im wahren Sinn des Wortes eine Lösung gefunden“, sagt Grassauer. Besonders für Allergiker sei das sinnvoll. Die hohe Löslichkeit erlaube eine geringere Dosierung eines Wirkstoffs, der zugleich auch schneller wirke. Herkömmliche Mittel würden erst nach längerer Einnahmezeit von bis zu zwei Wochen wirksam. 

Der relevante Allergikermarkt ist etwa zwölf Mrd. Dollar schwer, die Hälfte davon entfällt auf Cortison-Präparate. „Wenn Präparate auf Marinosolv-Basis nur zehn Prozent des Marktes erreichen, reden wir von echten Blockbustern, richtig umsatzstarken Medikamenten“, sagt Grassauer. Derzeit läuft eine Studie über die Wirksamkeit. Ergebnisse sollen Mitte 2019 vorliegen. Fallen sie wie erwartet positiv aus, will man die Zulassung beantragen, zuerst in Europa, dann wohl auch in den USA. Auf dem Markt könnte man ab 2021 sein. 

Für diese Pläne braucht man Geld. „Ohne Investitionen gibt es keine Zukunft“, sagt Grassauer. Aktuell prüft Marinomed Optionen, um bestehende Projekte weiterzuführen. Die Möglichkeiten reichen von neuen Finanzierungsrunden über den Einstieg eines finanzkräftigen Investors bis hin zu einer strategischen Partnerschaft. Erst 2017 hat Marinomed eine Wandelanleihe an der Wiener Börse aufgelegt. 

Der Marinomed-Chef lässt aber eine gewisse Präferenz für einen Börsegang erkennen. Anders als bei einem strategischen Investor böte das nämlich etwa den Vorteil, dass die Gründer auch mit einer strategischen Minderheitsbeteiligung weiter die Geschicke des Unternehmens mitgestalten könnten. Ein Börsegang biete auch höhere Sichtbarkeit bei internationalen Anlegern. Grassauer hält derzeit zusammen mit seiner Frau ein knappes Viertel der Anteile von Marinomed. 

Noch sei keine Entscheidung gefallen. Grundsätzlich könne es aber schnell gehen, meint Grassauer. „Es gehört auch zum Kapitalmarkt, dass man Dinge dann sagt, wenn sie Sache sind. Wenn Entscheidungen gefallen sind, kommuniziert man sie, wenn sie noch nicht gefallen sind, kann man sie nicht kommunizieren.“ Spekulationen seien schlecht für den Kapitalmarkt. 

Eines steht freilich schon jetzt fest: Wenn sich alle Beteiligten für einen Börsegang entscheiden, will man in Wien notieren. Dank der Anbindung an internationale Händlernetzwerke sei der Börsenstandort sekundär. „Wichtiger als der Börseplatz ist die Geschichte, die man zu erzählen hat.“ Für die Wiener Börse wäre es ein lang ersehnter Neuzugang. Das letzte Unternehmen, das sich neu listen ließ, war die Bawag im Oktober 2017.

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