Insgesamt gibt es 150 Pharmaunternehmen in Österreich, die zusammen rund 18.000 Mitarbeiter beschäftigen. Zählt man dazu die 63.000 indirekt Beschäftigten, zeichnet die Pharmabranche sogar für 1,7 Prozent aller heimischen Beschäftigten verantwortlich.
Die erwirtschaftete Wertschöpfung beläuft sich auf zehn Milliarden Euro und macht somit 2,8 Prozent des österreichischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Und die Pharmaindustrie investiert in den Standort Österreich: 2,2 Milliarden Euro waren es von 2012 bis 2017 (zum Thema Gesundheit siehe auch Seite 18). Für Alexander Herzog, seit Juli Generalsekretär des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig), ist die heimische Pharmaindustrie daher eine "Hochleistungsbranche und ein Wachstumstreiber für Österreich".
Ursachen und Nebenwirkungen
Als Gründe für die durchaus ansehnliche Präsenz der Pharmaindustrie in Österreich sieht Herzog Historisches und Aktuelles. In der Vergangenheit zu suchen ist vor allem die heimische Medizinkompetenz. Herzog: "Da die Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit Ärzten unablässig ist, um neue Therapien zu entwickeln, hat sich auch die pharmazeutische Branche entsprechend in Österreich entwickelt. In der Jetztzeit sind es der vorhandene "Talente-Pool", so Herzog, von rund 60.000 Mitarbeitern in Life-Science-Unternehmen und eine gute Ausbildung an Universitäten und Fachhochschulen, die für ausreichend Nachschub sorgen. Positiv wirken auch Förderungen für Betriebsansiedelungen und ganz aktuell die 2018 erfolgte Erhöhung der Forschungsprämie auf 14 Prozent.
Weniger gut wirkt, dass die klinische Forschung in Österreich aktuell rückläufig ist. Herzog: "Damit verlieren wir Potenzial, was das Know-how und die Versorgung der Patienten mit neuen, innovativen Arzneimitteln betrifft." Außerdem wünscht er sich einen Ausbau der sogenannten Mint-und Life-Science-Fächer, um das hohe Ausbildungsniveau in Österreich auch in Zukunft halten zu können. Branchen-neutral sind Forderungen wie die Senkung der Lohnnebenkosten, ein flexibleres Arbeitsrecht und "mehr Mut für Neues vonseiten der Regierung", die der Pharmig-Generalsekretär fordert.
Wegen "Tuppy" nach Wien
Aber wer sind die Unternehmen, die Pharmig vertritt? Eines der Aushängeschilder ist Boehringer Ingelheim. Das Unternehmen ist das größte Pharmaunternehmen der Welt in Familienhand. 1885 von Albert Boehringer in Ingelheim am Rhein gegründet, wurde 1948 die erste Auslandsniederlassung in einer Wiener Apotheke eröffnet. Noch wichtiger war aber die Eröffnung des Instituts für Arzneimittelforschung 1961 in Wien. Eine Entscheidung, die Österreich einem gewissen Hans Tuppy zu verdanken hat.
Der spätere österreichische Wissenschaftsminister (1987-1989) war in den 1950er-Jahren Leiter des Wiener Biochemischen Universitätsinstituts und Boehringer wollte ihn als Forschungsleiter. Weil Tuppy aber nicht nach Deutschland wollte, "brachte" Boehringer eben das Institut nach Wien und verpflichtete Tuppy als Konsulenten. Philipp von Lattorff, Generaldirektor von Boehringer Ingelheim RCV in Österreich: "Aus dieser Zusammenarbeit entwickelte sich nicht nur unsere heutige Forschung, in weiterer Folge entstand auch die biopharmazeutische Produktion aus einer Forschungsprojektgruppe. Heute beschäftigen wir im Bereich Biopharma rund 1.000 Mitarbeiter."
Wien ist aber auch Zentrum für die weltweite Krebsforschung von Boehringer Ingelheim und mit dem Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie Wien (IMP) in der Grundlagenforschung engagiert. Das Regional Center Vienna (RCV) hat zudem Geschäftsverantwortung für Österreich sowie in mehr als 30 weiteren Ländern. Damit zählt Boehringer Ingelheim zu den forschungsintensivsten pharmazeutischen Unternehmen in Österreich und ist das einzige, das die gesamte Wertschöpfungskette eines Arzneimittels hier abdeckt.
Derzeit werden in Wien-Meidling rund 700 Millionen Euro in eines der modernsten Biopharma-Produktionsgebäude Europas investiert und damit 500 neue Arbeitsplätze bis 2021 geschaffen. Lattorff hat dafür handfeste Gründe: "In der Produktion von Arzneimitteln spielen nicht nur die Lohnkosten eine Rolle, es geht vor allem um Qualität und Standortsicherheit", so Lattorff. Und da habe insbesondere Wien einiges zu bieten.
Insgesamt erzielte das Regional Center Vienna im Geschäftsjahr 2017 eine Betriebsleistung von über 1,5 Milliarden Euro sowie Gesamterlöse in der Höhe von 838 Millionen Euro und beschäftigte in der gesamten Region 3.300 Mitarbeiter, davon 1.700 in Österreich.
Penicillin statt Bier
Das größte Pharmaunternehmen des Landes ist aber die österreichische Novartis Gruppe (weltweit zählt Novartis mit Pfizer und Roche zu den Top drei). Und auch hier gibt es eine "nette Geschichte" über deren Anfänge in Österreich. Ein französischer Offizier und gelernter Chemiker, damals in Tirol stationiert, hatte die Idee, aus der stillgelegten Brauerei im Tiroler Kundl eine Fabrik zur Herstellung von Penicillin zu machen. 1946 wurde die Biochemie Kundl gegründet, 1965 an das Schweizer Pharmaunternehmen Sandoz verkauft. 1996 wurde aus Sandoz und Ciba-Geigy Novartis.
Heute ist Novartis Österreich mit mehr als 4.000 Mitarbeitern an vier Standorten - in Kundl und Schaftenau (beide Tirol), in Unterach am Attersee (OÖ) sowie in Wien vertreten. Kundl ist zudem das globale Kompetenzzentrum für Mikropartikeltechnologie von Novartis und Unterach das globale Kompetenzzentrum für onkologische und andere injizierbare Arzneimittel.
Auf 743 Millionen Euro beläuft sich die direkte Wertschöpfung von Novartis in Österreich, inklusive indirekter Effekte sind es sogar 1,4 Milliarden Euro. Zuletzt wurden 2017 rund 100 Millionen Euro in Schaftenau in die Erweiterung um eine integrierte Zellkulturproduktion und ein modernes Bürogebäude investiert und damit 190 neue Arbeitsplätze geschaffen. Neben der "historisch engen Verbundenheit "sind die Gründe für Michael Kocher, Country President Novartis Österreich: "Topausgebildete Fachkräfte mit entsprechendem Know-how", aber auch die "geografische Nähe zu großen Pharmamärkten ." Kocher: "Wir produzieren in Österreich für den Weltmarkt."
So werden in Kundl zwei Drittel der Weltproduktion von Penicillin V hergestellt. Kocher:"Wir sind damit einer der größten Antibiotikahersteller weltweit und der letzte vollintegrierte Penicillinproduzent der westlichen Welt." Und das ist auch aus einem (sicherheits-)politischen Blickwinkel betrachtet nicht ganz unwichtig.
Start-ups als Hoffnungsträger
Österreich hat aber auch Start-ups zu bieten, die trotz der enormen Kosten versuchen, ihren Innovationen im Pharmabereich zum Durchbruch zu verhelfen. Durchaus mit Erfolg. So schaffte Hookipa Pharma mit 50 Millionen Euro das höchste heimische Start-up-Investment im letzten Jahr. Das Wiener Unternehmen entwickelt neue Formen der Immuntherapie gegen Krebs und Infektionskrankheiten, das Geld wurde vor allem von US-Investoren lukriert.
Für Aufsehen sorgte auch Apeiron Biologics, aus Wien. 2017 erreichte das 2003 gegründete Unternehmen als eines von wenigen Biotech-Unternehmen in Europa eine EU-Zulassung für ein Medikament zur Krebstherapie und bekam in der Folge ein Darlehen über 25 Millionen Euro von der Europäischen Investitionsbank (EIB) zugesprochen. In den nächsten zehn Jahren erwartet Apeiron bereits Einnahmen in Millionenhöhe wie GEWINN in der Ausgabe 11/2017 berichtete.
Vielleicht sogar an die Börse könnte es bald für Marinomed gehen. Jedenfalls deutet vieles daraufhin. Gegründet wurde das Spin-off der Veterinärmedizinischen Universität 2006 mit dem Ziel, Wirkstoffe aus dem Meer medizinisch nutzbar zu machen. Fündig wurde das Team rund um Eva Prieschl-Grassauer und Andreas Grassauer bei Rotalgen, die ein Polymer -Carragelose - produzieren, das die Vermehrung von Viren, die die Atemwege befallen, unterdrückt. GEWINN berichtete darüber bereits im April 2013.
Mittlerweile sind diverse Nasensprays, ein Rachenspray und Lutschpastillen mit dem Wirkstoff Carragelose über Vertriebspartner in mehr als 30 Ländern auf dem Markt und so gut wie weltweit in der Einführung. Marinomed übernimmt dabei alle Aufgaben, ausgenommen Marketing und Vertrieb. Sogar produziert und abgefüllt wird in Österreich: von Sigmapharm, die das Spray unter dem Namen Coldamaris hierzulande auch vertreibt.
Möglicher Börsenkandidat
Marinomed - das im Übrigen beim GEWINN-JungunternehmerWettbewerb 2008 den zweiten Platz erreichte - erwirtschaftet zwar noch keine Gewinne, 2017 konnte jedoch mit 27 Mitarbeitern bereits ein Umsatz von 4,8 Millionen Euro erzielt werden (2016 waren es noch 2,6 Millionen Euro gewesen).
Mindestens so interessant ist auch die neue Technologieplattform Marinosolv, die bei der Lösung eines Problems im Labor mitentwickelt wurde. Eine Lösung im doppelten Sinne, denn Marinosolv ist eine Methode, mit der sich bisher schwer lösliche Stoffe doch lösen lassen.Wirkstoffe wirken damit in geringerer Dosierung besser.
Das Potenzial für Marinosolv ist enorm. Um es auch zu heben, wurde im letzten Jahr eine Wandelanleihe über sieben Millionen Euro begeben und erfolgreich platziert (die Anleihe notiert am Dritten Markt der Wiener Börse).
Eine wertvolle Erfahrung für Marinomed, die offensichtlich Lust auf mehr macht. Denn das Unternehmen hat bereits damals angekündigt, sich auf einen möglichen Börsengang vorbereiten zu wollen. Im Sommer dieses Jahres wurde mit Pascal Schmidt als neuem CFO ein Mann mit viel Erfahrung sowohl im Corporate-Financewie auch im Life-Science-Bereich, verpflichtet. Grassauer: "Unser Plan ist, das Unternehmen weiterzuentwickeln und das volle Potenzial aus beiden Technologieplattformen zu heben. Dieses Wachstum muss man irgendwie finanzieren und dazu prüfen wir alle möglichen Optionen."
Mehr will und darf Grassauer auch nicht sagen. Überzeugt ist er jedenfalls, dass Marinomed beste Chancen hat, "ein Nischentechnologieanbieter mit einem gobalen ,Outreach' zu werden".
Die Pharmaindustrie in Österreich
Unternehmen: 150
Produktionsstandorte: 30
Beschäftigte: 18.000
Forschungsstandorte: 33
Wertschöpfung: 9,6 Milliarden Euro (2,8 Prozent des BIP)
Quellen: Pharmig, Gottfried Haber: Life Sciences und Pharma: Ökonomische Impact Analyse 2016